An der Ostseite des alten Turms der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, in der Mitte des belebten Breitscheidplatz, wird der Zugang zur Gedenkhalle auf beiden Seiten von je einem Figurenpaar aus gelb-grauen Sandstein gerahmt. Die insgesamt vier Skulpturen sind als Fassadengestaltung über je einem der zwei am alten Turm erhaltenen Sockel befestigt und orientieren sich in ihren Abmessungen an der Höhe der mittleren Türöffnung und der Breite der Sockel. Durch ihre kompakte Gestalt fügen sie sich gut in die Struktur der Turmruine ein, es wirkt fast so, als wären sie schon immer da gewesen.
Die glatten Ganzfiguren sind alle gleich groß und stehen mit geschlossenen Beinen paarweise nebeneinander. Ihre Gesichtszüge und Körperformen sind größtenteils stilisiert, werden aber an einzelnen Partien durch detailliertere Ausarbeitung akzentuiert. Das Paar links neben der Tür besteht aus zwei Männern, die durch ihre Körpersprache das Thema „Streit“ verbildlichen. Der linke Mann steht aufrecht und richtet seinen Oberkörper und Blick auf sein Gegenüber, welches er mit erhobenem, angewinkeltem rechtem Arm zu schelten scheint. Auf diese Geste reagiert der rechte Mann mit einer klassischen Haltung von Schuldbewusstsein. Sein Oberkörper und Kopf sind leicht nach vorne gebeugt, die linke Hand legt er verschämt auf den rechten Oberarm und sein Blick geht zur Seite nach unten. Als Antwort bzw. Fortsetzung der Streit Thematik verbildlicht die Körpersprache des Mannes und der Frau auf der rechten Seite der Tür das Thema „Dialog“. Die beiden Figuren schauen einander direkt an und reichen sich in einer klassischen Geste der Versöhnung die Hände. Hierfür streckt die, wegen ihres schulterlangen, welligen Haares und ihrer Brüste, weiblich gelesene Figur ihren angewinkelten, linken Arm mit geöffneter Hand dem Mann entgegen, der diese Bewegung seinerseits mit dem linken Arm spiegelt. Der rechte Arm der Frau und der linke Arm des Mannes sind dabei gerade nach unten gestreckt. Der zugrunde liegende Gedanke der Figuren „Mahnung und Versöhnung“ greift die Thematik der Turmruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche auf, die als Mahnmal an die Zerstörung im zweiten Weltkrieg erinnert und zu Versöhnung und nachhaltigem Frieden aufruft. In ihrer Präsenz und kommunikativen Ausdruckskraft sprechen die mehransichtigen Figuren die Betrachter_innen direkt an und appellieren sie zum Verinnerlichen der vermittelten Botschaft (Katharina Lewe).
Kategorie
Epoche
Schaffende/
Kaehne, Stefan (Künstler:in)
1988, Herr Kaehne modellierte seine zwei Figurenpaare in Ton und Gips,
in verkleinertem Maßstab für die Bewerbung zum Wettbewerb
und in Originalgröße als Vorlage für die Ausführung in Sandstein.
Schostak, Konscha (Bildhauer:in)
Stefan Kaehne engagierte Frau Schostak für die Ausführung seiner zwei Figurenpaare in Sandstein.
Datierungshinweise
Entwurf des Wettbewerbsbeitrags: 1986 Umsetzung des Modells in Ton und Gips: Juli 1987 bis Januar 1988 Ausführung der Gipsvorlage in Sandstein: Februar 1988 bis März 1988 Montage an der Turmruine: 08. April 1988
Objektgeschichte
Mit der Intention, den östlichen Zugang zur Gedenkhalle in der Turmruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche einladender zu gestalten, lobte das Kuratorium der Stiftung „Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche“ im Frühjahr 1986 einen zweistufigen Wettbewerb zur Fertigung und Anbringung eines Kunstwerks unter den Meisterschülern der Bildhauerklassen der Hochschule der Künste Berlin (HdK), heutige Universität der Künste Berlin, aus. Für den Wettbewerb und die Ausführung des Kunstwerks stellte der Senator für Bau- und Wohnungswesen im Rahmen von „Kunst im Stadtraum“ 150.000 DM zur Verfügung. In der Ausschreibung gab das Kuratorium den gestalterischen Rahmen vor. Demnach reichte die zu bespielende Fläche „von der Oberkante des Sockels bis zur Höhe des ersten Absatzes über den Türöffnungen, die Mitteltür aussparend, über die gesamte Breite des Sockels“. Des Weiteren wurde angeführt, dass die Außengestaltung gegenständlich zu entwickeln sei, nicht zum Klettern einladen dürfe, von Schmierereien leicht zu säubern sei und in der Thematik die Konzeption der Gedenkhalle (Erinnerung an die Zerstörung im zweiten Weltkrieg, verbunden mit der Mahnung, dass es nie wieder Krieg geben darf und dem Aufruf zu Frieden und Versöhnung) aufgreife. Darüber hinaus wurde empfohlen das Kunstwerk flächig oder plastisch aus Metall zu fertigen, sowie die Inschriften zweier Glocken der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, „Eure Städte sind mit Feuer verbrannt, aber das Heil unseres Gottes bleibt ewiglich.“ (Jesaja 1,7) und „Lasset euch versöhnen mit Gott.“ (2. Korinther 5,20), miteinzubeziehen. Für die Teilnahme am Wettbewerb bewarben sich aus den Bildhauerklassen der Fachbereiche 1 und 6 der Hochschule der Künste Berlin (HdK) insgesamt 28 Studierende mit je einem Modell und einer kurzen schriftlichen Erläuterung ihrer Idee. Auf dieser Grundlage entschied sich das neunköpfige Preisgericht, bestehend aus Lehrkräften der Bildhauerklassen der HdK, Politiker_innen und Kirchenvertreter_innen, am 20.05.1987 in zweiter Stufe zwischen 10 Künstler_innen für den Entwurf von Stefan Kaehne, einem Meisterschüler aus der Klasse von Joachim Schmettau. Ausschlaggebend für die Entscheidung war laut Jury, „dass die Figuren in Größe, Grobheit und Massigkeit gut in der Ruinenfassade stehen, dem Charakter der Ruine folgen und eigene Kraft haben. Eine hervorragende Auseinandersetzung mit der Aufgabenstellung: Ruine und Kunst am Bau.“ Stefan Kaehne hatte sich mit zwei ca. 50 cm hohen Modellen aus Gips beworben, die in ihrer Gestik die Thematik der alten Turmruine und Gedenkhalle „Mahnung und Versöhnung“ visualisieren (siehe Abb. 16 und Abb. 17). Sein Arbeitsprozess bestand aus dem Modellieren der Figurenpaare samt Rückwand in Ton, dem Abformen des Tonmodells mit Gips zum Erstellen einer Negativform, die er zur Produktion der fertigen Modelle wiederum mit Gips ausgoss. Für den Transport montierte er die leicht eingefärbten Gipsmodelle auf je eine stabile Holzplatte, um Beschädigungen am Material vorzubeugen. Laut eigener Aussage hatte Hr. Kaehne von Anfang an geplant zwei Figurenpaaren zu entwickeln, da eine solche Komposition dem vorgegeben Raum am stimmigsten entsprach. Nach seinem Empfinden hätten einzelne Figuren links und rechts neben der Mitteltür verloren gewirkt und eine Figur allein zu unausgewogen. Als Gewinner des „Bildhauerwettbewerbs Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche“ war Kaehne für alle Schritte der Projektplanung verantwortlich. Beratend unterstützt wurde er dabei vom kirchlichen Bauamt, das die Beauftragung statischer Gutachten und die Organisation der Montage übernahm, sowie von seinem Mentor Joachim Schmettau, der den Kontakt zum Steinhändler herstellte. Zur Realisierung seines Kunstwerks entschied sich Kaehne eine Halle in der „Bildhauerwerkstatt des Bundes bildender Künstler“ in Berlin-Wedding anzumieten, in der von Juli 1987 bis März 1988 an den Figurenpaaren gearbeitet wurde. Zur Umsetzung der zwei Paare in Originalgröße nutzte Kaehne zunächst dasselbe Verfahren wie bei seinem Bewerbungsmodell zur Teilnahme am Wettbewerb. An einer Wand der Halle ließ er sich vier Metallgerüste errichten, die in Form und Größe den anzufertigenden Figuren entsprachen. Um sie herum begann er sein Werk in Ton zu modellieren (siehe Abb. 18). Die so entstandenen vier Tonmodelle (siehe Abb. 19 und Abb. 20) dienten ihm zur Abformung von Teilstücken in Gips, die er zu ganzen Gussformen zusammensetzte und mit flüssigem Gips füllte. Nach dem Aushärten des Gipses mussten die Gussformen zerschlagen werden, um die überlebensgroßen Skulpturen entnehmen zu können. Mit dem Anfertigen der Gipsfiguren in Originalgröße war der Werkprozess nicht beendet, denn Kaehne hatte seine erste Idee, die Paare in Beton zu gießen verworfen. Die in sieben Monaten produzierten Gipsmodelle bildeten somit essentielle Vorlage für das Übertragen der Figuren auf Sandstein, den sich Kaehne aus Massangis in Frankreich liefern ließ. Das Material überzeugte auf Grund seiner hohen Festigkeit, Widerstandsfähigkeit und Harmonie mit der alten Turmfassade, bedingte jedoch die Beauftragung der Bildhauerin Konscha Schostak, um den Stein fachmännisch zu bearbeiten. Ihren viermonatigen Arbeitsablauf veranschaulicht Frau Schostak in Text und Bild auf ihrer Website, unter folgendem Link: https://memoria-stein.de/die-bildhauerin/kaiser-wilhelm-gedaechtnis-kirche/. Beendet wurden die Bildhauerarbeiten wiederum von Kaehne selbst, indem er Feinheiten an den Konturen vornahm und seine Signatur (KAEHNE 88) in den Fuß der weiblichen Figur einmeißelte. Am 08.04.1988 wurden die vier Skulpturen aus Sandstein, von denen jede zwischen 1,3 und 2 Tonnen wiegt, mit einem Tieflader von der Bildhauerwerkstatt zur Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche transportiert. Zur Vorbereitung dieses Vorgangs fertigte Kaehne Schablonen der Umrisse aller vier Figuren an, bohrte in jede der flachen Rückseiten drei Löcher und versiegelte den Stein durch das Auftragen eines Schutzmittels, dass das Eindringen von Verschmutzungen verhindert und die Reinigung der Skulpturen erleichtert. Um dauerhaft wirkungsvoll zu sein muss diese Schutzschicht regelmäßig erneuert werden, wofür seither die Gemeinde der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche verantwortlich ist. Die Montage der zwei Figurenpaare an der östlichen Seite des alten Turms begann um sieben Uhr morgens und dauerte bis in den frühen Nachmittag. Mit Hilfe eines Krans, für den eine Spur der Tauentzienstraße gesperrt werden musste, wurde jede Figur einzeln am Kopf aufgehangen (siehe Abb. 21) in die gewünschte Position am Turm bewegt (siehe Abb. 22). Orientierungspunkte für die Aufhängung bildeten die Umrisse der Figuren, die Kaehne anhand der angefertigten Schablonen drei Zentimeter tief aus der Turmwand herausgeschnitten hatte und die von Kaehne, entsprechend der Bohrlöcher auf den Rückseiten der Skulpturen, gesetzten Bohrungen in der Turmfassade (siehe Abb. 23). Jede Figur wurde an drei stabilen Dübeln aus Edelstahl sicher aufgehangen und in den vorgefertigten Löchern durch Steinkleber fixiert (siehe Abb. 24). Bis zur Trocknung des Klebers war es notwendig die Skulpturen mit Brettern abzustützen (siehe Abb. 21, Abb. 22 und Abb. 24). Der torbogenförmige, rosa Hintergrund (vmtl. aus gefärbtem Beton oder Putz) gehört nicht zur Figurengruppe von Stefan Kaehne und wurde bereits vor der Wettbewerbsausschreibung zur Verschließung der Fensternischen am alten Turm angebracht. Öffentlich eingeweiht wurde das neue Kunstwerk erst ein bis zwei Wochen nach der Montage mit einer Feier in der Gedenkhalle des alten Turms der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Bis dato fanden an den mittlerweile denkmalgeschützten Skulpturen keine Restaurierungsarbeiten statt, das Entfernen von Schmierereien fällt jedoch regelmäßig an (Katharina Lewe).
Maße
Verwendete Materialien
Sandstein (Figuren) (Materialarchiv) , grau-gelb
Inschriften
Signatur (gemeißelt)
An der Unterkante des inneren Fuß der weiblichen Figur des Dialogmotivs
»KAEHNE 88«
Zustand
Vollständigkeit
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