»Wenn ich groß bin, dann … « – Mahnmal für die Opfer der Hirnforschung

»Wenn ich groß bin, dann … « – Mahnmal für die Opfer der Hirnforschung

Mahnmal an die Mordopfer des nationalsozialistischen Euthanasieprogramms, Mahnmal für die Opfer der Hirnforschung 1939 - 1945
Foto: Nicola Vösgen, 2020, CC-BY-4.0

Das Mahnmal befindet sich an einem Fußweg in dem kleinen Wäldchen unweit der Mensa auf dem Campus des Max-Delbrück-Centrums. Zwei breite Stufen führen zu einem Podest, das an der linken und an der Rückseite von senkrecht stehenden, massiven Eisenstelen umgeben ist. In der Mitte des Podestes eine lebensgroße, sitzende Kinderfigur, das Gesicht mit träumend geschlossenen Augen in den Nacken gelegt und mit nur fragmentarisch angedeutetem Körper. Auf der rechts hinter der Figur stehenden Stele befinden sich drei vertieft eingelassene Tafeln mit Inschriften. Auf der gegenüberliegenden Seite des Wegs stehen vier Eisenwürfel. An der Innenseite des östlich stehenden Würfels befindet sich eine Plakette mit einem kurzen Text.

  Werkdaten

SchaffendeDatierung
Schwarzbach, Anna FranziskaKünstler_In
Datierungshinweise
Aufstellung 2000
Objektgeschichte
Auf dem Campus Buch hatten Wissenschaftler des Kaiser-Wilhelm-Institutes für Hirnforschung zwischen 1939 und 1944 die Gehirne ermordeter Psychiatrie-Patienten aus den Landesanstalten Brandenburg-Görden und Leipzig-Dösen für ihre Forschungszwecke benutzt. Auch Julius Hallervorden, der damalige Leiter des Instituts, hatte die Gehirne der Ermordeten untersucht, wobei er wusste, dass es sich um Euthanasieopfer handelte. Ende 1942 berichtete er enthusiastisch an die DFG, die seine Forschungen unterstützt hatte, dass er "im Laufe dieses Sommers 500 Gehirne von Schwachsinnigen selbst hier sezieren" konnte.“ (DIE ZEIT Nr. 43, 19.10.2000). Zur DDR-Zeit wurde die Rolle des Instituts in der NS-Zeit nicht thematisiert, ebenso wenig wie die Forschungen an den Gehirnpräparaten, die sogar weiterhin genutzt wurden. Im Oktober 1990 sind auf dem Münchener Waldfriedhof München 2 940 menschliche Präparate von Euthanasie-Opfern beigesetzt worden, die aus zwei Kaiser-Wilhelm-Instituten stammten, u.a. auch aus dem Bucher Institut. Davon ließ sich die Bildhauerin Anna Franziska Schwarzbach inspirieren ein Mahnmal für die Opfer der Euthanasie in Berlin-Buch zu gestalten. Bereits 1989 war die Kinderfigur des heutigen Denkmals entstanden. Nach mehrjährigen Diskussionen um die äußere Gestaltung wurde das im Auftrag der Max-Delbrück-Gesellschaft für Molekulare Medizin, der Max-Planck-Gesellschaft und der Deutschen Forschungsgemeinschaft errichtete und mit Spenden und Mitteln der Stiftung Deutsche Klassenlotterie finanzierte Mahnmal am 14. Oktober 2000 in Anwesenheit der Gesundheitssenatorin Gabriele Schöttler, des Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft, Hubert Markl, des Präsidenten des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin, Detlev Ganten, sowie Vertretern der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingeweiht. Der Kunsthistoriker Martin Sperlich sagte über das Mahnmal „…, daß dieses harte, schrundige, rostende Material verwendet wurde, mag verwundern, solange man nicht im genauen zusehen erkennt, daß gerade dieses Material mit seiner uneleganten, dem zarten Tastgefühl Widerstand leistenden Oberfläche, das angemessene künstlerische Medium ist, Schmerz und Trauer, elementare Gefühle und Leidenschaften auszudrücken.“ (Eisenfiguren, S. 21). Der Arzt und Molekularbiologe Jens Reich, der bis 2004 am MDC tätig war, formulierte den Anspruch des Mahnmals eindrücklich: „Es erinnert an alle kranken und behinderten Kinder, die über ganz Deutschland verteilt in Anstalten gesammelt und nach vorgegebenen Verwaltungsabläufen zum Tode bestimmt und getötet wurden. Es steht auch für diejenigen unter ihnen, die nach ihrem Tod von den Forschern „verbraucht” und damit zu Opfern einer entfesselten Forschungsneugier wurden. Das Denkmal erinnert an einen unerhörten Skandal, und es sollte darüber hinaus auch für uns Heutige ein Stachel sein: Mitten auf unserem Campus steht ein Mahnmal, das an die stets mögliche Überschreitung der moralischen Grenzen unseres Forscherdrangs erinnert.“ Ein weiterer Abguss der Kinderfigur des Mahnmals befindet sich im Skulpturengarten des atelier laubbach in Ostrach-Laubbach in Baden-Württemberg (Nicola Vösgen).
Maße
FigurHöhe1.08 m
Verwendete Materialien
Eisen
Technik
gegossen
Inschriften
Inschriftentafeln (vertieft; eingelassene Tafeln)
an der Stele nahe des Mahnmals
Zur/ Erinnerung/ an die Opfer/ national-/sozialistischer/ Euthanasie- /verbrechen. /Von 1939 /bis 1944 haben /Wissenschaftler /des Kaiser- /Wilhelm-Instituts /für Hirnforschung /in Berlin-Buch /Gehirne /von Opfern /der Mordtaten /für Forschungs- /zwecke benutzt. /Als Verpflichtung /und Mahnung /für Wissenschaftler /und Ärzte /zu ethischem Handeln, /zur Achtung der /unveräußerlichen /Rechte aller Menschen /und zur Wahrnehmung /gesellschaftlicher /Mitverantwortung.
Plakette
am Objekt
ANNA FRANZIKA SCHWARZBACH /„WENN ICH GROSS BIN, DANN …“ /1990, Eisen /ERWORBEN AUS MITTELN DER /STIFTUNG DEUTSCHE KLASSENLOTTERIE BERLIN /SKULPTURENPARK MDC
Signatur (erhaben, modelliert)
Plinthe
SCHWARZBACH
ZustandZeitpunkt
gut2020
Vollständigkeit
vollständig

  Nachweise

  • Bezirksamt Pankow von Berlin: Natur entdecken in Berlin-Pankow, Prenzlauer Berg, Weißensee, Berlin, 2017, S. 359.
  • Eisenfiguren der Anna Franziska Schwarzbach. Eisen Kunst Guss, Chemnitz, 2004, S. 18-21, 71.
  • Bielka, Heinz: Begegnungen mit Geschichte und Kunst auf dem biomedizinischen Campus Berlin-Buch, Berlin, 2008, S. 7.
  • Reich, Jens: Gedanken vor dem Denkmal in Buch, in: Wissenschaft und Kunst auf dem Campus Berlin-Buch, Berlin, 2000, S. 62 ff..
  • Endlich, Stefanie: Gedenkstätten in Berlin [In: Puvogel, Ulrike; Stankowski, Martin: Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus. Eine Dokumentation, Bd. II], Bonn, 2000, S. 129 f..

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