Die lebensgroße Figur stellt eine aufrecht schreitende männliche Gestalt dar. Die Arme lässig am Körper hängend, das linke Bein zum Schreiten vorgezogen, den Kopf gerade in Schreitrichtung, kommt uns die Gestalt auf der Mitte des Bahnsteigs entgegen. Die Figur ist anscheinend bekleidet wie ein gewöhnlicher Zeitgenosse, wie ein normaler Nutzer der Untergrundbahn, allerdings in einem modischen Outfit mit Anzug, Krawatte, Schnallenschuhen, Tasche und Sonnenbrille. Die Kleidung ist jedoch wie eine zweite Haut auf dem Körper modelliert und verstörend mit Deformationen, Einschnürungen und Abschnürungen übersät. Durch die polierte Oberfläche der Bronze treten diese Verfremdungen verstärkt plastisch hervor. Die Arbeit von Biebl hat dadurch eine eigentümliche Ausstrahlungskraft bekommen. In der diagonal, schrägen Stellung und Bewegung des Mannes spiegelt sich zudem bewusst das Design des zur gleichen Zeit modernisierten Bahnhofs wider. Die fliehende Schrägverfliesung an den Wänden „wiederholt sich in der Figur, in der Schräge der Strukturen ihrer Gliedmaßen und des Surfbretts, auf dem sie steht.“ (Rolf Biebl im Interview, Figürliche Positionen, Bildhauerkunst in Prenzlauer Berg: http://archive.li/jUAyt#selection-249.0-259.33; abgerufen November 2018). Mit „Surfbrett“ ist die in den Boden eigengelassene schmale und spitz zulaufende Bron-zeplinthe gemeint, die ein Surfbrett anklingen lässt und die den diagonalen Bewegungsablauf des „Schreitenden“ im Fußboden markiert. So wirkt die Plastik ohne Sockel wie „hineingestellt in den täglichen Menschenfluss des Bahnsteigbetriebes“ (vgl. Pressemitteilung zur Ausstellungseröffnung Rolf Biebl im Kultur- und Bildungszentrum „Sebastian Haffner“ am 29.01.2011: https://www.berlin.de/ba-pankow/aktuelles/pressemitteilungen/2011/pressemitteilung.243061.php; abgerufen November 2018) und wird die von Biebl beabsichtigte Nähe zum Betrachter hergestellt (Jürgen Tomisch).
Kategorie
Epoche
Bezirk/Ortsteil
Schaffende/
Biebl, Rolf (Bildhauer:in)
1987
Objektgeschichte
Im Zusammenhang mit dem 750-jährigen Stadtjubiläum Berlins im Jahr 1987 wurden zahlreiche innerstädtische Bahnhöfe in Ostberlin saniert. Darunter war auch der damalige Endbahnhof Pankow (Vinetastraße) der U-Bahnlinie A, erbaut 1929-1930 nach Entwurf des BVG-Architekten Alfred Grenander. Von 1985-1987 erhielt die Station nach einem Gestaltungskonzept der Designer und Architekten Stefan Weiß, Rainer Binsch und Jörg Grote ein modernes Gepräge. Die Neugestaltung, die von Anfang auch mit einer plastischen Arbeit des Bildhauers Rolf Biebl geplant war, konnte erst gegen jahrelange kommunale Widerstände durchgesetzt werden. Denn die Plastik sollte nicht nur schmückende Zutat der Neugestaltung sein, sondern „ihr lag die Absicht zugrunde, einen Bahnhof zu realisieren, der funktional gut und großstädtisch organisiert ist und modern wirkt. Jegliche anheimelnde Atmosphäre wurde bewusst vermieden. Die Künstler (sahen) in der U-Bahn ein zukunftweisendes Verkehrsmittel, und diese Haltung (sollte) im Design zum Ausdruck kommen. Ein Bahnhof ist Knotenpunkt städtischen Lebens. Hier kommen Menschen an und fahren ab. Hier sind immer Bewegung und Hektik, für Beschaulichkeit bleibt wenig Zeit. Ein Bahnhof wird benutzt und ist weder Meditationsraum noch Museum.“ (vgl. Barsch, Barbara: Bahnhof und Plastik. In: Bildende Kunst, Hg. Verband Bildende Künstler der DDR, H.7, 1988, S. 327). In der Farbgestaltung, in dem schrägen Fliesenmuster der neuen beigen Wandfliesen der Gleisseiten, der Gestaltung des Schrift- und Informationssystems und besonders in der Plastik von Biebl kamen diese inhaltlichen Gedanken zum Tragen. So ist ihr Standort nicht zufällig gewählt, sondern der "Schreitende" soll Linearität der Neugestaltung und Dynamik des U-Bahnbetriebes aufnehmen und weiterführen. Hierfür schuf Biebl eine Bildgestalt, der jeglicher Denkmalcharakter abgeht. Er erklärte in einem Interview, dass die Plastik „in jedem Fall eine gewisse Trivialität erfüllen soll. Zum Beispiel, dass die Menschen über sie schmunzeln können (...) Menschen sollen sich selbst in der Figur entdecken, auch ihre Eitelkeiten (...) Ich möchte Trivialität auch im Sinne eines direkten Realitätsbezuges“ Rolf Biebl; vgl: Barsch, Barbara: Neon Real. In: Kunst in der DDR, hrsg. v. Eckhart Gillen, Rainer Haarmann, Köln 1990, S. 184) (Jürgen Tomisch).
Maße
Verwendete Materialien
Bronze (gesamt) (Materialarchiv)
Technik
gegossen (gesamt)
Zustand
Vollständigkeit
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