Die Mitteilung

Die Mitteilung

Dr. Magnus-Hirschfeld-Gedenkstele
Foto: Susanne Kähler, 2003, CC-BY-4.0

Stele aus künstlich korrodiertem Korten-Stahl, durch zwei horizontale „Simse“ gegliedert und westlich im unteren Teil schräg ausgreifend, davor eine im Fundamt verschraubte Stahlplatte. Stele mit zwei Inschriften ausgestattet. Die von der Westseite her lesbare, schräg in das Stelenoberteil eingelassene Hauptinschrifttafel aus poliertem Stahl birgt die von der BVV Tiergarten beschlossene Inschrift. Auf dem oberen der beiden Simsbänder steht in vertieften Buchstaben auf der zum Weg ausgerichteten Nordseite die mehrzeilige Stiftungsinschrift (Jörg Kuhn).

  Werkdaten

SchaffendeDatierung
Seibert, GeorgKünstler_In1993-1994
Datierungshinweise
Einweihung am 06.07.1994
Objektgeschichte
Am 6. Juli 1919 gründete der vorher in Charlottenburg (Berliner Straße, heute Otto-Suhr-Allee) praktizierende Arzt Dr. Magnus Hirschfeld (1868-1935) in der ehemals für den „Geigerkönig“ Joseph Joachim (gest. 1907) in den 1860er Jahren errichteten Villa, einem Eckgebäude an der Straße In den Zelten 9a-10, das weltweit erste „Institut für Sexualwissenschaft“. Das international renommierte Institut, eine vom preußischen Staat als Stiftung anerkannte Beratungs-, Lehr- und Forschungsstätte mit einer umfangreichen Bibliothek und den kostbaren themenbezogenen Sammlungen wurde im Mai 1933 von nationalsozialistischen Studenten und anderem Pöbel verwüstet, zerstört und verbrannt. Hirschfeld war den Nationalsozialisten als progressiver Wissenschaftler, Jude und Homosexueller verhasst. Er starb 1935 im Exil in Frankreich. Hirschfelds wichtiger Mitarbeiter Karl Giese (Bibliothekar, Sammlungsleiter des Archivs, Dozent am „Institut für Sexualwissenschaft“) starb 1938 auf der Flucht vor der Verfolgung in Prag durch Suizid. Das, beziehungsweise die Gebäude, in denen das Institut untergebracht gewesen war, wurden im Zweiten Weltkrieg stark zerstört, das Ruinengrundstück im Auftrag der Stadt Berlin enttrümmert. Die Erben Hirschfelds erhielten nach Abzug der Enttrümmerungskosten einen Geldbetrag, der sich auf das Grundstück bezog, nicht jedoch auf die zerstörten Mobilien. Das „Institut für Sexualwissenschaft“ wurde nach 1945 nicht wieder gegründet. Als Nachfolgeorganisationen verstehen sich eine an der FU Berlin angeschlossene Einrichtung und die „Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft“ (Chodowieckistraße in Berlin). Beide Einrichtungen bemühen sich seit langem, bisher erfolglos, um Anerkennung als legitime Nachfolger des Hirschfeldschen Instituts und eine staatliche Entschädigung der erlittenen Verluste. Die Bedeutung Magnus Hirschfelds als Arzt, Sexualwissenschaftler und „Vorkämpfer“ der Homosexuellen-Emanzipation wurde in der Nachkriegszeit aus Desinteresse und politischem Kalkül verdrängt. Erst mit der Liberalisierung des berüchtigten, bis 1969 in seiner verschärften Fassung von 1935 bestehenden § 175 und dem Aufbau neuer, politisch aktiver und wirksamer Homosexuellenorganisationen auch in Deutschland wurde im Rahmen der Aufarbeitung der Geschichte der Homosexuellen auch die Person Hirschfelds, sein Wirken als Sexualwissenschaftler und Lobbyist „wiederentdeckt“. Die bis in die Gegenwart kontrovers diskutierte Bewertung von Hirschfelds wissenschaftlichen Theorien (etwa die Eingruppierung von Homosexuellen als „Drittes Geschlecht“) und seines politischen Wirkens hat die allgemein nunmehr anerkannten Bedeutung Hirschfelds dabei nicht mehr ernsthaft grundsätzlich in Frage gestellt. Die Bedeutung Hirschfelds für die Emanzipation der Homosexuellen wurde und wird von den meisten schwulen und lesbischen Organisationen und Interessenvertretern weitgehend anerkannt und gewürdigt. Der Antrag zur Errichtung einer Gedenkstele für Magnus Hirschfeld, beziehungsweise zur Erinnerung an das „Institut“ anlässlich des 75. Jahrestages der Gründung des „Instituts für Sexualwissenschaft“ am Ort seiner ehemaligen Einrichtung „In den Zelten“ im Tiergarten, wurde zu Beginn der 1990er Jahre von verschiedenen Lobbygruppen an die Bezirksverordnetenversammlung des Bezirks Tiergarten herangetragen und wurde von der BVV des Bezirks Tiergarten (SPD / Bündnis 90 / Grüne) unterstützt. Für die Errichtung der Gedenksäule wurden durch die Lobbyisten Spenden bei Parteien, Vereinen und Einzelpersonen sowie den Erben Hirschfelds eingeworben. Als Bürge trat gegenüber dem beauftragten Bildhauer Georg Seibert aus Wildenbruch die HUK (Homosexuelle und Kirche, Berlin) auf, die auch die Transportkosten übernahm. Die BVV Tiergarten beschloss die Zustimmung zur Errichtung des Denkmals und den Text der Hauptinschriftentafel. Die Vorbereitung zur Aufstellung wurde an das Bezirksbauamt weitergeleitet. Am 26. Mai 1994 fand die erste Begehung des in Aussicht genommenen Aufstellungsortes durch die zuständigen Bezirksbeamten (Leitung: Herr Gelhaar) statt. In der Folge wurde für 5020,90 DM das Betonfundament gegossen und die Gedenksäule aufgestellt. Am 6. Juli 1994 wurde das Denkmal eingeweiht. Es sprachen anlässlich der Enthüllungsfeier der Tiergartener Stadtrat für Volksbildung Jörn Jensen, der Wissenschaftler Prof. Dr. Helmut Kendler und Gisela von der Aue (Jörg Kuhn).
Verwendete Materialien
gesamtCOR-TEN-Stahl
Stahl
FundamentBeton
Technik
gesamtgegossen
geschnitten
geschweißt
montiert
Tafelpoliert
Inschrift
Inschriften
Inschrift
am Objekt
PER SCIENTIAM AD JUSTITIAM / = DURCH WISSENSCHAFT ZUM RECHT = / UNTER DIESEN GEDANKEN STELLTE / DER ARZT UND SEXUALWISSENSCHAFTLER / DR. MAGNUS HIRSCHFELD / * 14.5.1868 IN KOLBERG / + 14.5.1935 IM EXIL IN NIZZA / DIE ARBEIT DES VON IHM AM 6.7.1919 IN DER NÄHE DIESER STELLE / IN DEN ZELTEN 9A-10 / GEGRÜNDETEN „INSTITUTS FÜR SEXUALWISSENSCHAFT“ VOM PREUSSISCHEN STAAT ALS STIFTUNG ANERKANNT / WURDE DIESES GEBÄUDE VON DEN NATIONALSOZIALISTEN / IM MAI 1933 GEPLÜNDERT UND ZWECKENTFREMDET / SOWIE SEINE ÜBER 12000 SCHRIFTEN ÖFFENTLICH VERBRANNT DAS IM II. WELTKRIEG ZERSTÖRTE INSTITUT FÜR SEXAULWISSENSCHAFT / WAR DIE WELTWEIT ERSTE EINRICHTUNG / DIE SEXUALWISSENSCHAFTLICHE FORSCHUNG UND LEHRE VEREINTE / EIN ORT DER MEDIZINISCHEN BETREUNG UND ZUFLUCHTSORT FÜR ALLE / DIE WEGEN IHRER SEXUALITÄT GEÄCHTET WAREN. / 6. JULI 1994
Inschrift
am Objekt
G. SEIBERT 1994 =DIE MITTEILUNG= / STIFTER: BVV TIERGARTEN, BÜNDNIS 90/GRÜNE TIERGARTEN, / SPD TIERGARTEN, / BÜNDNIS 90/GRÜNE (AL), / UFV BERLIN, JÖRN DIETRICHSEN, ERNST FREIBERGER, / FAM. RUDOLF HIRSCH, PROF. DR. HELMUT KENTLER, JÖRN JENSEN STADTRAT, / SABINE NITZ-SPATZ STADTRÄTIN, MAGNUS-HIRSCHFELD-GESELLSCHAFT, / HOMOSEXUELLE UND KIRCHE HUK E.V., SCHWULE LEHRERGRUPPE DER GEW
ZustandZeitpunkt
gesamtverschmutzt, leicht2003
Vollständigkeit
vollständig

  Nachweise

  • Endlich, Stefanie: Wege zur Erinnerung, Gedenkstätten und -orte für die Opfer des Nationalsozialismus, Berlin, 2007, S. 267-268.

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