Relief-Tondo mit Göttin und Gigant

Relief-Tondo mit Göttin und Gigant

Foto: Jürgen Tomisch, Barbara Anna Lutz, 2020, CC-BY-4.0

Auf dem Friedhofsgelände befinden sich zwei Bildreliefs der ehemaligen Wiener Brücke: Eines in der Nähe des Einganges Sandhauser Straße, beim Hauptweg, das andere bei einer kleinen Platzanlage. Die zwei Tondos sind große kreisförmige Bildhauerarbeiten. Die detailreichen Hochreliefs behandeln Motive aus dem Gigantenfries des Pergamon-Altars, die Szenen des dramatischen Kampfes der griechischen Götter mit den Giganten zeigen. Zur Aufstellung der in drei Teilen zerlegten Reliefs sind sie in ausgreifenden Steinquadern eingelassen. Sie zeigen jeweils ein Kampfpaar des Frieses als Kopie mit ergänzenden Nachbildungen der im Original fehlenden Teile.

Dieses Relief-Tondo befindet sich abseits vom Hauptweg bei einer kleinen Platzanlage. Es zeigt die Kampfszene einer Göttin gegen einen gepanzerten Giganten, die ein von Schlangen umwundenes Gefäß schleuderbereit in der Hand hält und auf ihren Gegner zielt. Bei der Figur könnte es sich um Klotho handeln, eine der drei Moiren, Göttinnen des menschlichen Schicksals. Neuere Deutungen sehen in der Göttin eher eine der drei Erinnyen, vielleicht Alekto. Bei dieser Kampfszene haben sich der gepanzerte Gigant und die große Schlange nur in Teilen erhalten. Sie sind Nachschöpfungen von Wilhelm Wandschneider (Jürgen Tomisch, Barbara Anna Lutz).

Fakten

Werkdaten

Schaffende/Datierung

Wandschneider, Wilhelm (Künstler:in)
1895

Micheli, Carl Aurelius (Bildhauer:in)

Datierungs­hinweise

Aufstellung auf dem Friedhof Heiligensee nach 1945

Objekt­geschichte

Die beiden Relief-Tondos wurden nach 1945 auf dem Friedhof Heiligensee aufgestellt. Sie schmückten einst die Stirnseiten der 1895 erbauten Wiener Brücke in Berlin-Kreuzberg, die im Zuge der Wiener Straße über den Landwehrkanal führte. Die Brücke war anlässlich der Berliner Gewerbeausstellung in Berlin-Treptow 1896 zur Entlastung der Schlesischen Brücke errichtet worden. Für den Bauschmuck der repräsentativen Bogenbrücke wählte der Berliner Magistrat Motive vom Pergamonaltar, der einige Jahre zuvor von deutschen Archäologen ausgegraben und zur Sicherung nach Berlin gebracht worden war. Hier wurden zunächst Teile im Alten Museum gezeigt und unter großer Anteilnahme wurden Fragen der Ergänzung der fragmentarischen Skulpturen der Altarfriese diskutiert. Aus rotem Miltenberger Mainsandstein wurden vier Relief-Tondos für die Stirnseiten, die Kampfszenen aus dem Gigantenfries des Pergamonaltars wiedergeben sowie zwei Schlusssteine des Brückenbogens, die antike Kriegshelden darstellten. Die bildhauerischen Arbeiten übernahm u.a. Wilhelm Wandschneider. Von diesem sind zwei Tondos erhalten, die zum Friedhof Heiligensee kamen (Jürgen Tomisch, Barbara Anna Lutz). „Die Reliefs und zwei "pergamenische" Köpfe (die Schlusssteine des Brückenbogens) sind nach zeitgenössischer Presse von Wilhelm Wandschneider und Adolf Kürle gefertigt. Eindeutig im Nachlass Wandschneiders belegt ist dessen Autorenschaft für das "Athena-Relief"“(nach freundlicher Auskunft von Bernd Ruchhöft, Wandschneiderexperte). Da die Kampfszenen nur fragmentarisch erhalten waren, mussten die fehlenden Teile von Wandschneider nachgebildet werden. Hierfür waren zunächst eine Abformung und ein Abguss in Gips der originalen Friesteile notwendig, die dann mit den fehlenden Teilen ergänzt und in Sandstein als Tondo fertig modelliert wurden. Die Vorarbeiten übernahm die renommierte Berliner Firma Gebrüder Micheli, Gießerei für plastische Kunst (vgl. Weinland, 1994, S. 233). Die Gießerei Micheli wurde 1824 in Berlin gegründet. Die Brüder Claudio und Aurelio Micheli, beide auch bildhauerisch tätig, fertigten in ihren Werkstätten Reproduktionen von Plastiken nach bedeutenden Vorbildern in verschiedenen Materialien und Größen mit eigenen Kopiermaschinen an. So hatte die Firma bereits 1886 Kopien von Friesplatten des Pergamonaltars angefertigt, woran Aurelio Micheli wohl maßgeblich beteiligt war. Sie waren vermutlich die Grundlage für die Tondos der Brücke. Zu Ende des Zweiten Weltkrieges wurde im April 1945 die Wiener Brücke von deutschen Wehrmachtstruppen gesprengt, um den Vormarsch der Roten Armee zu behindern. Nach dem Krieg wurden zwei Wandschneider-Tondos aus den Trümmern geborgen und zum 1912 eröffneten Friedhof Heiligensee verbracht, wo sie sich noch immer befinden. Anlässlich einer umfassenden Sanierung der Brücke 1932 waren auch ihre Bildwerke bildhauerisch überarbeitet und mit einem Schutzanstrich versehen worden (vgl. Cornehls, W. / Röhr, E.: Die Wiederherstellung der Wiener Brücke über den Landwehrkanal in Berlin. In: Bautechnik 11 (1933), S. S. 505.). Die Relief-Tondos sind wichtige Zeugnisse der Rezeptionsgeschichte des Pergamon-Altars. Geschaffen als repräsentativer Bauschmuck der Wiener Brücke, waren sie im Rahmen der Berliner Gewerbeausstellung von 1896 Teil der Präsentation der Fundstücke der Ausgrabungen in den 1870er/80er Jahren. Zudem sind sie hervorragende Beispiele für eine stilsichere bildhauerische Ergänzung der Bildwerke des Gigantenfrieses im klassizistischen Stil, die nur in Fragmenten erhalten sind (Jürgen Tomisch, Barbara Anna Lutz).

Maße

(beide Reliefs )
Höhe
Breite
Tiefe
Durchmesser

1.98 m
2.1 m
0.65 m
1.9 m

Verwendete Materialien

Sandstein (Materialarchiv) , roter Mainsandstein (Miltenberg)

Technik

behauen

Inschriften

Inschriftenplatte (gemeißelt)
Bodenplatte
»1939-1945. den Opfern«

Inschriftenplatte (gemeißelt)
Bodenplatte
»1939-1945/ AUS DEM ZERSTÖRTEN BERLIN/ GEBORGENE ORNAMENTE/ DER WIENER BRÜCKE/ BEIDE AUF DEM FRIEDHOF AUFGE-/ STELLTEN BILDHAUERARBEITEN/ - ENTSTANDEN UM DIE JAHRHUNDERT-/ WENDE - BEHANDELN MOTIVE/ AUS DEM PERGAMON-ALTAR«

Zustand

verwittert (gesamt, 2020)
biogener Bewuchs (2020)
Risse (2020)
Abplatzungen (2020)
restauriert (2020), 1932
verschmutzt (2020)

Vollständigkeit

unvollständig, Schlangenkopf fehlt


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